Mit Holmger 19/07/2024
Gegen Ende unserer beiden Wochen Sommerferien öffnet sich in diesem von instabilem Wetter geprägten Sommer doch noch ein zweitägiges Wetterfenster. Als erste Hochtour der Saison muss es nicht grad ein allzu harter Brocken sein, und weil die Aiguille de Bionnassay schon lange auf meiner Wunschliste steht und angeblich Top-Bedingungen aufweist, ist das Ziel schnell gewählt. Nach dem obligatorischen Zwischenstop in Chamonix mit Mittagessen, Lädele und Besuch in der Maison de la Montagne fahren wir nach Les Houches, wo wir uns auf dem Camping Bellevue einquartieren. Idyllisch ist dieser zwar nicht gerade, aber relativ billig und dank der unmittelbaren Nähe zur Gondel, mit der wir am nächsten Tag nach Bellevue hochfahren würden, äusserst praktisch.
Nach einer kurzen Gondelfahrt gehen wir kurz nach 10 Uhr bei Bellevue los. Anfänglich sind sehr viele Touristen unterwegs – bei einer Hängebrücke gibt es ziemlichen Stau, da alle Teilnehmenden einer japanischen Wandergruppe einzeln rüber gehen, um den Moment fotografisch festzuhalten. Später, im Aufstieg zum Col de Tricot, geht das Überholen dann leichter. Wegen der Hitze und der Tatsache, dass wir bis zu unserem Tagesziel, dem Refuge Durier, fast 1900 Höhenmeter zurücklegen müssen, nehmen wir es gemütlich. Nach einer Pause beim Col de Tricot wird unsere Wanderung dann deutlich einsamer – bis zum Refuge Durier treffen wir nur noch auf zwei Amerikanerinnen, die im Refuge du Plan Glacier übernachtet haben.
Auf schmalen, aber selten exponierten Weg geht es landschaftlich interessant weiter. Schnell voran kommt man wegen dem ständigen auf und ab und diversen, mit Drahtseilen versehenen Stellen allerdings nicht. Nach einer weiteren Pause erreichen wir schliesslich das Refuge du Plan Glacier, wo wir ordentlich Wasser nachtanken und ein Stück Kuchen essen.
Wir folgen Spuren durch das Schneefeld unterhalb der Hütte durch, anschliessend ist der Weiterweg nicht ganz offensichtlich. Es gilt, in der einfachsten von diversen Rinnen etwa 10 m hinaufzukraxeln, dann sind wieder Wegspuren durchs Geröll und später auch Markierungen und Eisenstifte vorhanden. Wir traversieren ein weiteres steiles und exponiertes Schneefeld, das dank den vorhandenen Spuren und dem leicht aufgeweichten Schnee bei uns problemlos ohne Steigeisen und Pickel machbar ist. Anschliessend klettern wir über plattigen Fels (II) auf den Glacier de Miage ab. Viele Markierungen weisen hier den Weg und sogar neue Bohrhaken zu Sicherung wären vorhanden.
Auch bei der Überquerung des Glacier de Miage verzichten wir auf Steigen und Pickel, gehen dafür etwas zügig, denn von den Couloirs oberhalb droht durchaus etwas Steinschlaggefahr. Der Übergang zur Felsrippe ist dank der vorhandenen Spur problemlos zu finden und der Schrund leicht zu überwinden. Anschliessend folgt etwas unangenehme Kraxelei in brüchig-sandigem Fels, bis wir schliesslich auf den Kamm der Rippe gelangen. Im Nachhinein merken wir, dass wir den Rücken der Rippe durch eine einfachere und besser abgekletterte Rinne erreicht hätten, wenn wir noch etwas weiter den steiler werdenden Gletscher hinauf gestapft wären. Allerdings scheint der Schrund dort aktuell etwas komplizierter.
Auf Wegspuren und über Steinblöcke geht steil aber effizient und vom Steinschlag geschützt auf Rippenrücken aufwärts. Nach einer weiteren Pause sind meine Beine doch etwas müde, im Allgemeinen bin ich aber sehr zufrieden damit, wie gut sie sich nach den schwierigen Monaten zu Jahresbeginn wieder schlagen. Wir sammeln ein paar kleine aber schöne Kristalle und erreichen dann kurz vor 17:00 das Refuge Durier, wo wir in der Sonne entspannen und die Aussicht sowie die Gesellschaft einiger Steinböcke geniessen.
Nach einem sehr feinen (aber für gewisse Personen etwas knappen) Nachtessen gehen wir früh ins Bett. Aufgrund der Überbelegung (ca. 20 statt zwölf Personen) ist es sehr eng und heiss, und wir schlafen nur wenig. Um 2:00 klingeln die ersten Wecker, wir starten als einzige Seilschaft erst kurz vor 5:00.
Es ist etwas windig, die Temperaturen aber angenehm. Auch der Pfad über den breiten Rücken ist leicht zu gehen und gut markiert. Einige unserer Vorgänger sind mit Steigeisen relativ direkt über die Firnfelder aufgestiegen, wir sind ohne Steigeisen unterwegs und halten uns deshalb mehrheitlich auf dem Pfad bzw. weichen auf die leichten Felsen auf, wo der Weg unter dem Schnee liegt. Ganz nach dem C2C-Topo: "Suivant la saison ou l'humeur remonter les pentes de neige ou suivre la sente". Wir kommen gut voran uns sehen bald schon die Lichterkette in der Kletterpassage. "Bis wir dort sind, sollte sich der Stau gelöst haben", denke ich.
Nun wird der Grat etwas schmaler und die Hände kommen zum Einsatz. Für den Aufstieg auf die Schneekuppe und den schmalen Firngrat, der zum Einstieg in die Kletterpassagen führt, montieren wir Steigeisen und nehmen den Pickel und die Hand.
Der Übergang vom Firn in den Fels ist problemlos und bietet Platz, um bequem Steigeisen und Pickel gegen Klettergurt, Schlingen und einige Cams zu tauschen. Am auf ca. 20 m verkürzten Seil klettern wir simultan los – im Nachhinein hätten wir auch auf das Seil verzichten können. Bei unserer Routenwahl befindet sich die Kletterei meist im II-er Bereich mit einigen Zügen im 3. Grad, an einer IV-er-Stelle sind wir nicht vorbeigekommen. Der Fels ist zwar noch etwas kalt, aber absolut trocken und eisfrei. Rasch haben wir zwei französische Seilschaften eingeholt, die uns sofort vorbei lassen. Ich wundere mich darüber, dass sie sich nicht die Mühe gemacht haben, die Steigeisen auszuziehen. Wir überholen noch eine Dreierseilschaft, dann ist die flowige Kletterei in griffigem stabilen Fels leider auch schon vorbei. Aber es wartet ja noch ein schöner Firngrat!
Am Ende des Felsgrats montieren wir Steigeisen und verstauen das Seil. Der Firn in der Gipfelflanke ist perfekt griffig – kein Einsinken und auch keine Spur von Blankeis. Bessere Bedingungen könnte man sich nicht denken!
Punkt 7:00 Uhr erreichen wir den Gipfel, wo es Zeit wird, die Sonnenbrille aufzusetzen! Nach einer kurzen Pause steigen wir über den schön geschwungenen und schmalen Ostgrat zum Col de Bionnassay ab. Auch hier ist der Firn so perfekt, dass wir zügig und gleichzeitig entspannt vorwärts kommen. Der Tiefblick ist zu beiden Seiten jedoch durchaus imposant ...
Vom Col de Bionnassay steigen wir zum Piton des Italiens auf und von dort weiter zum Dôme du Goȗter, wobei es bei diesem äusserst flachen Gipfel gar nicht so einfach ist, den höchsten Punkt zu finden... Wohl der unspektakulärste aller 82 4000-er der Alpen.
Meine Beine werden doch etwas müde, und unakklimatisiert merke ich die Höhe, drum bin ich froh, dass Holmger nicht spontan noch zum Mont Blanc weiter will, so wie wir das nach dem Kuffnergrat gemacht haben. Aber wir sind uns einig: es gibt spannendere Anstiege dort hinauf, und so steigen wir auf der Autobahn zum Refuge du Goȗter ab, wobei wir unzählige Seilschaften kreuzen. Aufgrund der Verhältnisse und der Spur verzichten wir darauf, uns anzuseilen.
Kurz vor 10:00 erreichen wir das zu dieser Zeit leere Refuge du Goȗter – das Puff im Schuhraum zeugt davon, dass es einige Stunden früher chaotisch zu und her gegangen sein muss. Wir gönnen uns trotz der überhöhten Preise einige Getränke eine längere Pause.
Der Abstieg über die Felsrippe geht dann angenehmer als erwartet, dank den hunderten von Bergsteigern, die hier in der Hochsaison täglich auf- und absteigen, liegt nur wenig loses Gestein rum, und Platz zum Überholen oder Kreuzen ist auch genügend vorhanden. Wie wir uns schon vor der Tour versichert haben, verhält sich auch das berüchtigte Grand Couloir aufgrund der guten Firnlage und der frühen Tageszeit absolut ruhig. Trotzdem queren wir es zügig – dank guter Spur im Schnee dauert das weniger als 30 Sekunden.
Beim Refuge de Tête Rousse machen wir wieder eine länger Trink- und Esspause. Da die nächste Bahn vom Nid d 'Aigle erst um 17 Uhr fährt, haben einige Stunden tot zu schlagen ...
Auf gutem Weg wandern wir schliesslich – vorbei an unzähligen, zahmen Steinböcken – zum Refuge du Nid d'Aigle, wo wir uns eine sehr feine Omelette gönnen und mit Bier auf die Tour anstossen. Irgendwann ist es dann endlich Zeit, in die Bahn zu steigen und über Bellevue zurück nach Les Houches zu gondeln. Im Nachhinein erfahren wir, dass die Bahn ab Mont Lachat etwas häufiger fährt als ab Nid d' Aigle – ein Abstieg dorthin hätte uns etwas Zeit erspart. Allerdings ist es ja doch immer noch früh und es bleibt genügene Zeit, bei Pizza und Bier auf die abwechslungsreiche Genusstour zurück zu schauen.
Gipfel: | Aiguille de Bionnassay und Dôme du Goȗter |
Route: | Südgrat und Überschreitung via Piton des Italiens |
Ausgangspunkt: | Refuge Durier |
Höhe: | 4052 m, 4304 m |
Schwierigkeit: | ZS, III (4a), 45° |
Führer:
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Hochtouren Westalpen Band 2 (Rother, Eberlein und Gantzhorn) oder Chamonix (Rockfax, Boscoe) |
Material:
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2-4 Exen, einige Schlingen, evtl. 2-3 Cams, 30 m Seil; bei guten Firnbedingungen reicht ein normaler Pickel, bei Ausaperung können zwei technische Pickel und zusätzliche Eisschrauben nützlich sein. |