Aiguille Dibona - Visite Obligatoire (6b)

Mit Holmger                                                                                                                                                                              27/07/21

Aiguille Dibona, Visite Obligatoire, Refuge du Soreiller, Klettern, Granit, Dauphiné, Massif des Écrin, Frankreich, Mehrseillängen
Juhui, dort gehts morgen hinauf! Nach etwa 1h Marsch erscheint die Dibona und steigert die Motivation, weiter zu gehen (Foto: H. Ullrich).

Aufgrund des für Hochtouren zu wechselhaften Wetters verbringen wir unsere erste Sommerferienwoche in Briançon mit Sportklettern.  Das einzige Schönwetterfenster wollen wir dann aber für etwas Alpineres nutzen. Da grössere Unternehmungen wie die Meije-Überschreitung aufgrund des Neuschnees nicht in Frage kommen, fällt die Wahl auf die formschöne Aiguille Dibona, bei der mein Blick beim Durchblättern des Buches "Moderne Zeiten" schon öfters hängengeblieben war. Kurz nach 16:00 marschieren wir in Les Étages los. Weil Refuge du Soreiller ausgebucht ist, haben wir auch unsere Biwaksachen im Gepäck. Ein guter Weg führt uns durch wunderschöne Flora mit riesigen Hauswürzen - nur die Heidelbeeren sind leider noch nicht ganz reif. Kurzzeitig werden wir von einem Regenschauer gepeitscht, allerdings ohne gross nass zu werden. An einer Stelle ist der Weg durch Lawine zerstört worden und muss etwas mühsam umgangen werden, danach geht es wieder steil aber ohne grossen Tritte weiter, und nach einer guten Stunde erblicken wir die Dibona zum ersten Mal - was für eine Nadel! Bald kommt auch die Hütte in Sicht, und nach etwa 2h40 inklusive einer ausgiebigen Pause erreichen wir diese.

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Unser Luxux-Biwak, keine 10 min vom Routeneinstieg entfernt (Foto: H. Ullrich)

Unsere Begeisterung steigert sich gleich nochmals, als wir in nächster Nähe der Hütte den perfekten Biwakplatz entdecken - wie gut haben wir kein Zelt mit hoch geschleppt, das wäre wirklich überflüssig gewesen. Wir richten uns ein und gehen auf ein (hervorragendes!) Bier zur Hütte, wo uns die Hüttenwartin auch gleich dazu einlädt, gratis Wasser am Hahn abzufüllen, die Toiletten zu benutzen und unser selbstgekochten Essen im Speisesaal zu essen. Wirklich unglaublich gastfreundlich! Wir erfahren zudem, dass ausser uns niemand die Route Visite Obligatoire zum Ziel hat, was uns natürlich freut, denn auf diesem Klassiker ist öfters mal viel los. Der Routenname bezieht sich übrigens weder auf die obligatorisch zu kletternden Stellen noch auf die  Tatsache, dass die Routes so schön ist, das man sie unbedingt besuchen muss (obwohl beides zutrifft). Nein, er entstand, weil die damals im 6. Monat schwangere  Martine Turc ihren Ehemann und Kletterpartner während der gemeinsamen Erstbegehung ständig auf ihren obligatorischen Ultraschalltermin hingewiesen hat, denn sie nicht verpassen durfte...

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Ein kleines gutgriffiges Dächli in der langen und sehr schönen ersten (richtigen) Seillänge.

Während wir frühstücken ziehen bereits 4 Seilschaften an uns vorbei zum Wandfuss, steigen aber allesamt in andere Routen ein. Die beliebteste an diesem Tag ist die klassische Südwand (5c), eine Kombination aus verschieden Routen, welche den gleichen Einstieg hat wie die Visite Obligatoire. Um 8:00 starten wir in die erste Seillänge (3a), die man auch noch seilfrei hätte zurücklegen können. Dann aber geht es gleich ziemlich steil los (6a). Die Griffe sind durchs Band gut,  mit kalten Fingern und Muskeln und dem ungewohnten schweren Rucksack scheinen sie mir doch teilweise etwas klein und ich mag noch nicht Vollgas dran ziehen. Aber was für coole Kletterei an bombenstabilem Fels! Ich denke an die schwangere Erstbegeherin und beschliesse, ab jetzt nicht mehr über den Rucksack zu jammern. Nach dem kleinen Überhang geht es plattig weiter, wobei aber kaum nur auf Reibung angetreten werden muss, sondern verschiedene Felsstrukturen möglichst geschickt genutzt werden wollen - wirklich spannende Bewegungen! Wie eigentlich auf der ganzen Route ist die Länge dort, wo ein unangenehmer Sturz auf ein Band möglich wäre, sehr eng abgesichert, sonst sind die Abstände etwas weiter und die einfachste Linie zwischen den Bohrhaken muss selber gesucht werden. Auch sind die schweren Stellen zwar nie weit über den Haken, aber eigentlich doch immer obligatorisch zu klettern. Mobile Sicherungsmittel sind überflüssig und könnten auch kaum je angebracht werden.

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Gleiche Seillänge von oben (Foto: H. Ullrich)
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Nach einer Traverse wirds steil, die ebenfalls steile Crux wartet am Ende der Länge.

Die vierte Seillänge ist mit 6b die am schwersten bewertete, und in der Tat muss nach einem leichten Quergang und anschliessendem Aufschwung zum Ende der Länge ziemlich zugepackt werden. Hier stecken die Haken aber dicht und manch einen Vorsteiger wird die plattig-technische Stelle in der zweitletzten Seillänge wohl mehr fordern. Die 6b Schlüsselstelle ist aber eigentlich die einzige anstrengende Passage der Route, die übrigen Seillängen fordern eher ein gutes Bewegungsrepertoire und Vertrauen in die Füsse, was jedoch bei dem rauen Fels nicht allzu schwer ist. Uns Kalkkletterern kommt zudem zugute, dass auf der ganzen Tour nie Risse geklettert werden müssen, wodurch uns die Bewertung im Vergleich zu Chamonix doch recht zahm vorkommt (wenngleich durchaus passend).  In den 6a-Längen sind die Schwierigkeiten aber meist anhaltend, so sind gewisse Reserven sicher von Vorteil, wenn man zeitlich und nervlich gut durchkommen will. Die Kletterbewegungen begeistern uns ebenso sehr wie der absolut stabile Fels, der immer an der richtigen Stellen das notwendige Schüppchen, Knubbelchen oder auch mal einen Henkel bietet. Genuss pur!

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Ziegenkäse mit Honig - das kulinarische Highlight der Region darf auch beim klettern nicht fehlen...

Auch die kommenden, etwas leichteren Längen klettern sich unglaublich gut, der Fels ist wie zum Klettern geschaffen! Da wir ansprechend vorwärts kommen und keine Eile haben, machen wir in der Hälfte mal ausgiebig Pause. Das zügige Vorankommen ist auch den vollständig ausgerüsteten Standplätzen geschuldet, sowie der Tatsache, dass die Wegfindung aufgrund der Bohrhaken nicht viel Zeit braucht. Allerdings ist das Routennetz ziemlich dicht, insbesondere im oberen Teil, wo diverse Routen zusammenlaufen. Prompt versteigen wir uns in eine schwere Länge mit einer kurzen und zum Glück gut gesicherten Boulderstelle, können aber anschliessend wieder auf unsere Route traversieren. Es folgen nochmals 3 schöne und technisch nicht triviale Längen, anschliessend klettern wir simultan auf dem stets flacher werdenden Grat bis zum Gipfel, welcher (leider) gar nicht so spitz ist, wie es von unten den Anschein macht, sondert eher ein Gipfelgrat.

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Schöne Kletterei auch im oberen Abschnitt (Foto: H. Ullrich)
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Die letzten leichten Meter vor dem Gipfel (Foto: H. Ullrich)
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Von Holmgers Position seilt man 2x ca. 25 in die Scharte ab (grüner Kreis), bevor man zu den beiden Bergsteigern (roter Kreis) abklettert.

Nach ein paar Meter leichtem Abklettern seilen wir zweimal etwa 25 m über den Grat bis in eine Scharte ab (auch mit unseren 60 m Halbseilen bietet es sich hier  wegen dem Verlauf und der Gefahr des Seilverhängens nicht an, den Zwischenstand zu überspringen). Anschliessen klettern (III+) wir seilfrei über schmale Bänder in der Südwestflanke zur Brèche de Clocheton hinunter. Über Platten, Bändern und Geröll geht es nun Steinmännern folgen wieder zum Refuge, wo wir um 15:00 Uhr beim Bier auf die fantastische Kletterei anstossen. Gerne wären wir noch eine Nacht hier geblieben um tags darauf eine weitere Route in diesem grossartigen Fels zu klettern, doch der Wetterbericht lässt uns schweren Herzens den Abstieg angehen. Die richtige Entscheidung, denn am nächsten Morgen sind die Berge weiss getüncht.

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Good bye - we will be back!

Charakter:

 

 

 

Durchs Band sehr schöne bis fantastische Kletterei in bombensoliden aber gleichzeitig gut strukturierten Granit, die auf eine imposante Nadel führt und eher technisch als physisch fordert. Die Route ist vollständig mit Bohrhaken abgesichert und alle Stände zum Abseilen ausgerüstet 

Anforderung:

 

 

Trotz guter Absicherung ist wegen der teilweise etwas weiteren Hakenabstände ein Onsightniveau von etwa 6b empfehlenswert, um die Route geniessen zu können. Der Abstieg erfordert alpine Erfahrung (ungesichertes Abklettern bis III+)

Ausrüstung:

 

60 m Halb- oder Einfachseil, 10 Exen, gute Schuhe für den Abstieg; mobile Sicherungsmittel sind nicht nötig und können kaum eingesetzt werden.

Ausgangspunkt:

Refuge du Soreiller: Sehr freundliche Bedienung und hervorragendes Bier!

Führer:

 

 

 

Moderne Zeiten (Panico Alpinverlag) oder Hochtouren Westaplen Band 2 (Rother); aufgrund der unzähligen sich kreuzenden Routen lohnt es sich, ein Topo mit allen vorhandenen Routen zu kopieren, z.b. aus dem "Oisans Nouveau - Oisans Sauvage - Livre West" (liegt im Refuge auf).