Weisshorn (4506 m) – Nordgrat

Mit Jonas                                                                                                                                                              05/09/22

Weisshorn, Nordgrat, Ostgrat, Hochtouren, Wallis, 4000er, Bishorn, Tracuithütte, Brunegghorn
Was für ein ästhetischer Berg! Bishorn, Nordgrat, Weisshorn, Ostgrat (von rechts nach links), aufgenommen auf einer Skitour aufs Brunegghorn im Mai 2019

Ein Bild des Weisshorns im SAC-Führer meines Vaters war einer der Gründe, die mich vor knapp 15 Jahren zum Bergsteigen motiviert haben. Die Besteigung des Weisshorns über den Ostgrat 2009 war dann auch eine meiner ersten selbständigen Touren - also ohne erfahreneren Seilschaftspartner. Den Nordgrat (streng genommen Nord-Nordwestgrat) trauten wir uns damals noch nicht zu. Später passten dann entweder jeweils Bedingungen, Wetter oder Tourenpartner nicht, oder  andere Touren bzw. Routen wie der Schaligrat hatten Priorität.

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Abendstimmung bei der trotz Grösse gemütlichen und gut bewarteten Tracuithütte

2022 scheinen die Bedingungen am Weisshorn Nord- und Ostrat im Gegensatz zu vielen anderen Bergen den ganzen Sommer über gut zu sein. Dazu passt, dass ich gerne wieder mal eine Tour mit meinem Bruder unternehmen würde, nachdem dies aufgrund der ausgefallenen Skihochtourensaison dieses Jahr etwas zu kurz gekommen war. Jonas klettert zwar nicht und macht nur sporadisch (Ski-)Hochtouren, ist aber sehr fit und im II-er Gelände sowie auf Firn zügig und absolut sicher unterwegs - genau das, was es für die Nord-Ost-Überschreitung des Weisshorns braucht. Da am Samstag noch Niederschläge gemeldet sind und ich glücklicherweise meine Arbeit vom Montag auf Samstag verlegen kann, reisen wir am Sonntag mit Zug und Postauto nach Zinal und steigen bei angenehmen Temperaturen in gemütlichem Tempo in nicht ganz 4h inklusive Pause zur Tracuithütte auf, wo wir sehr freundlich empfangen werden. Nach einem feinen Nachtessen in der nur etwa mit 30 Personen belegten Hütte gehen wir früh ins Bett - schliesslich würden um 1:50 wieder die Wecker klingen...

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Danke fürs Müsli und die guten Wünsche!

Beim frühen Frühstück sind wir allein und würden es also auch bis zum Gipfel bleiben, was mich etwas überrascht. Kurz vor 3 Uhr folgen wir bei angenehmen Temperaturen den Steinmännchen zum Turtmanngletschär (ja, mit "ä") und rüsten uns für diesen aus. Die Topografie des Gletschers stimmt nicht mehr mit der auf swisstopo überein, und da der Gletscher blank ist, haben wir keine Spur, der wir folgen können. So holen wir etwas weiter nach Südosten aus als notwenig und müssen wieder ein paar Höhenmeter absteigen - viel Zeit verlieren wir aber nicht und können dafür statt im Zickzack durch das Spaltenlabyrinth recht gradlinig auf das nördliche Ende des Felsriegels zuhalten. Nach einem steilen Direktanstieg treffen wir auf ca. 3600m auf eine bequem angelegte Aufstiegsspur. Gutes Timing, denn ab hier liegt eine zunehmend dickere Schneeauflage und es gilt auch, ein paar tiefe Spalten zu umgehen. Mein Dieselmotor läuft, die Beine sind frisch und ich geh zügig, da ich weiss, dass Jonas eh locker mitziehen mag - das muss ich ausnutzen! Später fusioniert die Spur mit der "Abfahrtspiste", in der es sich nicht mehr ganz so angenehm gehen lässt, aber das ist jammern auf hohem Niveau. Vor dem letzten Gipfelaufschwung steigen wir in einer elegant kurvig angelegten Spur über eine eindrückliche Spalte und stehen um 5:00 auf dem Bishorn (4151 m).

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Bei der 2. Abseilstelle, mit Blick auf den weiteren Gratverlauf bis zum Grossen Gendarmen

Da hier ein bissiger Wind geht, halten wir uns nicht lange auf - stockdunkel wie es noch ist hat man eh keine Aussicht... Dankbar die Spur vom Vortag steigen wir ein paar Meter unterhalb (westlich) des verwächteten Grates ins Weisshornjoch (4061 m) ab und anschliessend zu Punkt 4109 auf, wo wir windgeschützt etwas trinken können. Über leichte Felsen und einen weiteren Firngrat erreichen wir die erste Abseilstelle, die sich etwas  unterhalb von Punkt 4203 auf der Westseite befindet. Nach 20 m abseilen klettern wir weiter, wobei wir aufgrund des Neuschnees und der teilweise mit einer dünnen Eisglasur überzogenen Felsen die Steigeisen anbehalten. Es ist immer noch dunkel, kalt und windig, und obwohl nicht schwierig, fühlt sich die Kraxelei mit den Steigeisen etwas unflowig an. Bald erreichen wir aber die zweite Abseilstelle, wo es jetzt um 6:30 auch endlich dämmert. Allerdings zieht im Gegenzug dafür Nebel auf... 

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Blick zurück zur 2. Abseilstelle

Trotz etwas Schnee und Eis klettern wir nun ohne Steigeisen weiter, was mit etwas Vorsicht ganz gut geht. Das Wetter wird zunehmend besser und wärmer und wir freuen uns über die einfache aber genussreiche Kraxelei (meist II, Stellen III) in solidem Fels. Die Orientierung ist offensichtlich und wir kommen gut voran. Fast schon überraschend plötzlich stehen wir  vor der Schlüsselstelle am Grossen Gendarmen.

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Schöne Kraxelei, aber vorerst noch etwas garstiges Wetter
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Die kurzen Passagen im Schnee sind mit etwas Vorsicht auch ohne Steigeisen machbar.
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Der Nebel lichtet sich und gibt den Blick frei aufs Bishorn (Foto: J. Bürgler).
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Geht es hier rauf? Nein, so weit nach links muss man nicht, sondern direkt dort rauf, wo das Bild aufgenommen wurde (Foto: J. Bürgler).

Auch wenn man das Topo im Silbernagel etwas anders interpretieren könnte, geht es hier direkt über den für den Abstieg eingerichteten Abseilstand durch eine steile, aber grossgriffige Verschneidung 15 m hoch (4a), wo sich ein weiterer Standplatz befindet – dazwischen kann man bei Bedarf problemlos Schlingen oder Cams legen. Die nächste Länge (15 m, 4a) führt leicht rechtshaltend auf die Gratkante zurück und ist sogar noch fast steiler und für den Grad recht athletisch, aber dank durchwegs guten Tritten und Griffen wieder um schön zu klettern und keineswegs bösartig. Zwei Zwischenhaken weisen hier den Weg. Unterdessen, kurz nach 8 Uhr, ist es richtig warm geworden, ich entledige mich meiner Daunenjacke und wir machen eine kurze Esspause.

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In der ersten Seillänge
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Beim Zipfelmützenturm, zwischen Schlüsselstelle und Gendarm

In schöner, einfacher Kraxelei geht es wieder über den Grat weiter, bis zum Grossen Gendarm (4329 m). Da dieser trotz Erfüllen der topografischen UIAA-Kriterien nicht in die offizielle Liste der 82 Viertausender der Alpen aufgenommen wurde (mehr dazu hier), wird er meist  über ein paar Schuttbänder auf seiner Südseite umgangen - so auch von uns. Nach ein paar Metern leichtem Abklettern erreichen wir kurz nach 8:30 den Firngrat, wo wir ein bequemes Plätzchen zum Steigeisen montieren finden.

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Blick zum Grossen Gendarmen, der meist auf seiner Südseite umgangen wird, aber im Prinzip auch in einer Seillänge (4a) erklettert werden könnte.
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Die Kletterei bis zum Gendarmen ist einfach und genussreich (Foto J. Bürgler)
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Blick über den letzten Gratabschnitt zum Gipfel (mittlere Spitze), links der Vorgipfel, rechts der letzte Gendarm des Schaligrates (Foto: J. Bürgler)

Da der vergletscherte Grat verspaltet ist und uns die Spaltensturzgefahr bei den aktuell perfekten Schneebedingungen definitiv grösser erscheint als die Ausrutsch- und Mitreissgefahr, bleiben wir  am Seil, das wir weiter verkürzen. Dank der Spur und bestem Trittschnee lässt es sich wirklich sehr entspannt gehen, nur an einer kurzen Stelle berühren wir Eis. Auch exponiert ist der Grat nicht wirklich, jedoch wunderschön geschwungen. 

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Bis zum Gipfel ist es nur noch Fleissarbeit (Foto J. Bürgler)
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Vom Vorgipfel erreicht man in wenigen Schritten den Hauptgipfel.
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Wegen der Wolken ist der Tiefblick im Abstieg über den Ostgrat heute nicht so spektakulär.

Dank den guten Firnbedingungen macht uns auch der Abstieg keine Probleme. Bei zwei steileren, eisigen Passagen steigen wir ein paar Schritte rückwärts ab, hier hätte man auch gut in den Felsen oder mit Eisschrauben sichern können. Im Gegensatz zu meinen letzten Abstiegen über den Ostgrat müssen wir diesmal einige grosse Spalten umgehen – das Seil ist hier heute sicher nicht fehl am Platz. Zwischenzeitlich zieht etwas Nebel auf, was aber aufgrund der vorhandenen Spur kein Problem ist. Zwei Italiener, die wir kreuzen sind, vermutlich ganz froh drum, dass sie nicht sehen, wie weit es noch zum Gipfel ist...

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Hübschen Steinmännchen folgend geht es zügig abwärts. Eingekreist die Weisshornhütte, unser nächstes Zwischenziel.

Beim Felsgrat angekommen verstauen wir Steigeisen und Gletschermaterial und klettern meist simultan ab – zwei bis drei etwas schwerere Stellen sichern wir. Da ich mich im Vergleich zur Schaligrattour viel frischer fühle, kann ich die leichte Kletterei auch noch so richtig geniessen. Schneller als erwartet erreichen wir den am Eisenbügel und der A0-Schlinge leicht erkennbaren Lochmatterturm, und gleich darauf Gehgelände. Unzähligen Steinmännchen folgend gehen wir auf gut ausgetretenem Pfad und über einige kurze Felsstufen durch die Südostflanke abwärts. Bei einer Stufe auf ca. 3580 m (entspricht wohl der im Führer mit 3530 m bezeichneten Stelle) seilen wir 20 m ab. Das früher hier vorhandene Schneefeld gibt es heut nicht mehr. Auf Wegspuren und über einige Kraxelpassagen gelangen wir zu einer weiteren Abseilstelle an Schlingen, und steigen anschiessend über die mal mehr mal weniger ausgeprägte, nach Süden verlaufende Rippe ab.

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Pause bei der Weisshornhütte - zwar keine perfekte Sicht, aber angenehmes, gewitterfreie Wetter (Foto: J. Bürgler)

Auf ca. 3130 m erreichen wie die Stelle, wo der Felsriegel in Richtung Weisshornhütte überwunden wird. Dazu folgen wir dem teilweise ausgesetzten aber einfachen Pfad bis zu den Platten. Hier mussten wir letztes Mal wieder zurück und einen Umweg nehmen, da das über die Platten schiessende Wasser die Querung zu heikel gemacht hatte. Unterdessen gibt es hier eine Abseilstelle, welche wir aber heute gar nicht brauchen, denn die Platten sind mangels Schmelzwasser furztrocken und leicht abzuklettern. Der Gletscher unterhalb des Felsriegels ist in den vergangenen zwei Jahren dramatisch zurückgegangen – ich kann kaum fassen, wie anders es nun aussieht... Aus Sicht eines müden Bergsteigers ist die Situation aber ganz angenehm – das Gletscherrestchen lässt sich nämlich heute ohne Seil und Steigeisen zeitsparend queren. Nach einer leichten Gegensteigung über wie Kunststoff aussehende (Marmor-?)Platten mit irrwitzigen Strukturen erreichen wir den Hüttenweg, wo wir uns der ganzen Klettermontur entledigen, die letzten Trinkvorräte leeren und die Stöcke auspacken. Kurz vor halb drei erreichen wir schliesslich die Weisshornhütte und machen an der warmen Sonne eine ausgiebige Bier- und Verpflegungspause.

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Ein angenehmer Weg führt nach Randa; im Hintergrund Nadelgrat, Dom, Täschhorn, Alphubel und Rimpfischhorn (Foto: J. Bürgler).

Es bleibt der Weiterabstieg nach Randa – mit allen Gegensteigungen würden es insgesamt etwa 3300 Höhenmeter Abstieg werden... Zum Glück ist der Hüttenweg äusserst angenehm und ohne jegliche Stufen, so dass meine Beine zwar etwas müde werden, aber aber bis zuletzt nicht wirklich leiden müssen. Danke Jonas fürs Seil runtertragen! Um 17:00 Uhr kommen wir in Randa an uns stossen bei Bratwurst und Pommes im Restaurant des Hotels Klein Matterhorn nochmals auf die sehr gelungene Tour an, bevor wir dann mit dem Zug entspannt nach Hause reisen. 

Fazit: Die Nordgrat ist der ästhetischste und meiner Meinung nach auch alpinistisch der lohnendste Grat aufs Weisshorn. Die Nord–Ost-Überschreitung bietet eine elegante und sehr abwechslungsreiche Tour, die wir heute dank guten Bedingungen und konditioneller sowie technischer Reserve in vollen Zügen geniessen konnten.


Gipfel: Weisshorn
Route: Nordgrat (Nord-Nordwestgrat)
Ausgangspunkt: Tracuithütte 
Höhe: 4506 m
Schwierigkeit: ZS+, 4a
Führer: Hochtouren Topoführer Walliser Alpen (Silbernagel)

Material:

 

40 m Seil, 2-3 Zackenschlingen, 2-3 Exen, evtl. 1-2 mittlere Cams (wir hatten sie dabei, aber nicht eingesetzt)