Mit Holmger 04-06/07/25
Während unseren Sommerferien in der Region um Briançon verbringen wir einen tollen Sportklettertag im angenehm kühlen Klettergarten Rue des Masques. Bei einem Check der Wetterprognose am Nachmittag stellen wir fest, dass sich diese verbessert hat und sich ein zweitägiges Fenster mit stabilem Wetter auftut. Das wollen wir für eine Hochtour in der Umgebung nutzen, und zwar für die Traversée de la Meije, die als schönste Tour der Dauphiné gilt. Nach einer Abkühlung im See und Dusche kaufen wir Proviant ein und fahren in Richtung La Grave, wo wir auf dem Col du Lautaret übernachten. Am nächsten Morgen miete ich mir im Geschäft Skiset ein paar Steigeisen, da ich diese zu Hause vergessen habe. Dies geht unkompliziert (allerdings sind die Steigeisen äusserst stumpf und auch ziemlich schwer...). Praktischerweise befindet sich in unmittelbarer Nähe des Geschäfts auch eine leckere Bäckerei und ein Brunnen mit Trinkwasser.
Hüttenzustieg: Gegen Mittag gondeln wir zur Mittelstation der Téléphérique des Glaciers de la Meije (Gare de Peyrou d' Amont) und machen uns auf den Weg zum Refuge du Promontoire. Dieser führt zuerst abwärts über ein Geröllfeld und folgt dann dem Felsriegel les Enfetchores bis zum Gletscher. Die Rücksäcke sind ganz schön schwer, da wir für die 50-m Abseilstellen ein 50 m Seil und eine 60 m Rapline im Gepäck haben. Weil wir zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Gedanken spielen, die Route "Allain-Leiniger" zu klettern, sind auch noch zusätzliches Felsmaterial sowie unsere Kletterfinken im Gepäck.
Anfänglich auf gutem Weg, dann über Geröll und einen Gletscherbach geht es zum Felsriegel, wobei zuerst einmal einige Höhenmeter vernichtet werden. Wir folgen Steinmännchen und Wegspuren; ein Fixseil hilft über die erste steile Felsstufe. Grundsätzlich ist die Wegfindung nicht allzu schwer, man muss aber stets die Augen offen halten; zudem gibt es viele Wege, die ins Blinde führen oder nicht mehr gangbar sind. Der Aufstieg ist deutlich anstrengender, als ich es mir das vorgestellt habe. Das Gelände ist steil und spielt sich oft im Zweiergelände ab, hin und wieder müssen auch Dreierstellen überwunden werden.
Nach einer Zmittag-/Zvieripause im Schatten gehen wir weiter. Endlich wird das Gelände flacher und wir erreichen über glatt geschliffene Gletscherplatten den Glacier de la Meije. Einer frischen Spur folgend umgehen wir eine grosse Spalte grossräumig. Dank unseren Vorgehern sinken wir trotz weichem Schnee nur wenig ein und kommen gut voran, auch wenn wir in der Hitze fast vergehen. Der Bergschrund ist problemlos zu überwinden, und über loses Geröll erreichen wir die Brèche de la Meije.
Von der Brèche steigen wir über Geröll und anschliessend über glatte Platten auf der Südseite ab. Diese sind gerade so steil, dass wir noch seilfrei abklettern können; es gäbe hier aber auch ein paar Bohrhaken zur Sicherung. Wir erreichen die neue Abseilstelle und können mit unserem 50 m Seil, also ohne die Rapline zu benutzen, bis auf den Reste des Glacier des Étançons abseilen.
Von hier geht es äusserst bequem im angenehm weichem aber nicht tiefen Schnee zum Refuge Die im Führer angegeben 5 h Zustiegszeit empfinden wir als ziemlich knapp berechnet. Wenn man gemütlich gehen möchte – wie wir das vor einer Tour gerne tun – sollte man eher mit 6 h kalkulieren.
Die Hütte ist nur etwa halbvoll (mit meiner Ankunft verdoppelt sich der Frauenanteil), die Stimmung sehr entspannt und die Leute – alles Franzosen – sehr nett. Trotz der geringen Grösse besteht die Hütte aus mehreren kleinen Zimmer, was den Aufenthalt zusätzlich angenehm gestaltet. Nach einem sehr feinen Abendessen sinken wir in die Betten. Schon beim Zustieg haben wir uns recht müde gefühlt, denn zumindest bei mir haben die intensiven Sportklettertage und wenig Schlaf Spuren hinterlassen – ich hätte einen Ruhetag gut gebrauchen können.
Tour: Nach einer weiteren kurzen Nacht sind wir uns rasch einig, statt über die "Allain-Leiniger" über den Normalweg – die Arête du Promontoire – zum Grand Pic de la Mejie aufzusteigen und es beim Frühstück ruhig angehen zu lassen. Das Fehlen aktueller Verhältnisinfos bezüglich Bergschrund, das eher kleine Wetterfenster und die Tatsache, dass dies die erste Tour der Saison ist, tragen zum Entscheid bei. Blöderweise haben wir es ob der Spontanität verpasst, ein Topo dieser Normalweg zu organisieren und erstaunlicherweise gibt auch auf der Hütte keines. Kurz nach 5:00 und somit deutlich nach der vorletzten Seilschaft verlassen wir das Refuge. Seilfrei kraxeln wir zwischen Hütte und WC-Häuschen auf den Grat in eine Scharte, wo wir uns anseilen. Vorerst ist die Routenfindung leicht, man folgt dem Grat in einfacher Kletterei über tollen, bombenstabilen und griffigen Fels. Die Müdigkeit sitzt mir von Beginn weg in Beinen und Kopf und ich bin froh, nicht in die "Allain-Leiniger" eingestiegen zu sein – auch keine der andern Seilschaften wählt heute diese Route.
Als der Grat steil wird, traversieren wir links über Bänder und umgehen einen Turm erst in der Felsflanke, dann durch eine grosse Rinne. Diese ist ein bisschen feucht und sandig, der Fels nicht 100% stabil, was aber wegen der geringen Schwierigkeit nicht stört. So kommen wir gut voran und erreichen nach knapp 2 h den Frühstücksplatz.
Im nachfolgenden Abschnitt macht sich jedoch bemerkbar, dass wir das Topo verschlampt haben. Wie wir im Nachhinein lesen, gibt ab hier seit dem Felsausbruch im August 2018 zwei Routenführungen, die sich kurz vor dem Glacier Carré wieder vereinen: Entweder steigt man relativ direkt und steil auf (6a oder A0/ 5a obl.), oder aber man umgeht diese Steilstufe in einer grossen Rechtsschlaufe über leichte aber etwas brüchige Bänder. Wir sehen zwar die Schlingen der A0-Variante, doch ohne die genannten Kenntnisse halten wir dies für eine der schwereren Routen, von denen es hier doch einige gibt. Wir queren deshalb nach rechts, wobei uns jedoch der (gemessen am Rest der Route) brüchige und frisch zerschlagene Fels suspekt dünkt. Schliesslich suchen wir uns eine Route irgendwo zwischen den beiden Varianten. Hier kommen wir zwar immer wieder an Schlaghaken und Schlingen vorbei, einiges davon ist aber auch Rückzugsmaterial. Aufgrund der Unsicherheit verlieren wir viel Zeit, finden dann aber unseren Weg wieder zurück nach links an die Gratkante, wo der Fels gut abgeklettert und die Routenwahl ziemlich offensichtlich ist.
Hier holen wir eine lange vor uns gestartete Seilschaft ein, die offenbar (noch mehr) Mühe mit der Routenfindung hat und alles in Standplatzsicherung klettert, während wir bisher immer simultan unterwegs waren. Holmger lässt sich von neuglänzenden Bohrhaken und tollem Fels in eine schwierige Route (vermutlich die "l'horreur du bide") leiten. Ich bin erst nicht sehr begeistert davon, auf einer eh schon langen Tour noch extra schwere (6a oder 6b?) Kletterzüge zu machen. Allerdings ist die Kletterei wirklich toll und führt uns auch genau dorthin, wo wir hin müssen. Etwas im Zickzack kletternd gelangen wir schliesslich an Biwakplätzen vorbei und zuletzt über horizontale Felsbänder zum Glacier Carré.
Endlich haben unsere Gehirne etwas Ferien. Einer guten Spur folgend können wir nun zwar physisch anstrengend aber sonst entspannt den steilen Gletscher queren. Im Sattel zwischen Pic du Glacier Carré und Grand Pic de la Meije verstauen wir die Steigeisen und machen uns an den Aufstieg zum Hauptgipfel.
Unterdessen hat ein starker und bissig kalter Wind eingesetzt und wir ziehen warme Jacken und Handschuhe an. Noch immer ist die Routenfindung nicht ganz offensichtlich – es gilt mit Selbstvertrauen der Nase nach dem einfachsten Weg zu folgen. Schliesslich erreichen wir beim Cheval Rouge die Gratkante. Anstatt wie im Führer beschrieben über die Gratkante zu klettern, steigen wir einfacher in der Flanke rechts davon auf und queren dann am Schluss durch eine etwa 3 m grosse, kleingriffige Platte (5b) zur Gratkante, wobei wir die Handschuhe ausziehen müssen, denn die Kletterei ist nicht ganz einfach. Steigeisenkratzer verraten, dass wir nicht die ersten sind, die dies so machen. Auf der Gratkante ducken wir uns unter dem Überhang durch und erklettern diesen nordseitig, steil aber an grossen Griffen.
In leichtem Blockgelände erreichen anschliessend wir den Grand Pic de la Meije. Nach einem Gipfelselfie steigen wir rasch weiter, der Wind ist immer noch bissig kalt.
Nach etwa 20 m Kraxelei seilen wir zweimal 40 m und schliesslich einmal 30 m in die Brèche Zsigmondi ab, wobei wir etwas mit der krangelnden Repline zu kämpfen haben, aber ohne Seilverhänger durchkommen. Hier geht es einfach über den scharfen Grat unter den Dent Zsigmondi, wo die 160 m lange Drahtseilpassage beginnt, über die man den Dent nördlich umgeht. Im Nachhinein hätten wir hier schon die Steigeisen montieren sollen, aber da sich das Gelände nicht überblicken lässt und nur Fels in Sicht ist, steigen wir ohne Steigeisen den Fixseilen entlang ab. Über den Fels geht dies problemlos gut, doch als wir auf Blankeis stossen, wird das Weiterkommen zur äusserst anstrengenden Hangelei, denn ohne Eisen an den Füssen können diese nichts dazu beitragen. Die Drahtseile sind zudem oftmals so hoch, dass ich sie nur ganz knapp erreiche, und die letzten paar Meter bis zum Zwischenstand führen mich an die Grenze meiner Armkraft. Weil auch der Weiterweg durch steiles Blankeis führt, ziehen wir die Steigeisen an. Es folgen nochmals 60 m in der steilen mit Drahtseil versehene Eisflanke - eine kurze Rinne ist sogar fast senkrecht. Schliesslich führen uns einige athletische Züge im Fels in die Scharte nach dem Dent Zsigmondi.
Ab hier wird die Tour richtig flowig, die Wegfindung ist einfach und die Kletterei sowieso. Stets dem Grat entlang den Grat kraxeln wir in schönem Fels und holen die anfänglich verlorene Zeit wieder auf. Zwischen dem zweiten und dem dritten Zahn seilen wir etwa 10 m Meter ab. Auch den Abstieg der Gratspitze mit weissem Fels überwinden wir wegen der Schneeauflage per Abseilen, wofür wir wieder die Rapline brauchen.
Schliesslich erreichen wir mit dem Doigt de Dieu den letzten Gipfel. Von hier klettern wir etwas ab, seilen dann 35 m in die Scharte ab und steigen über den Grat zu einer weiteren Abseilstelle. Dabei sehen wir, wie ein Helikopter die Seilschaft ausfliegt, die wir vor der Glacier Carré überholt haben. Wir können nur hoffen, dass es dem Paar soweit gut geht und dass bloss Erschöpfung beziehungsweise zu langsames Vorwärtskommen, und nicht etwa eine Verletzung der Grund für die Rettung ist.
Wir seilen 25 m und anschliessend 50 m ab und gelangen so gut bis über den Bergschrund. Nun führt uns die ausgetretene Spur über bequem über den Gletscher zum Refuge de l'Aigle. Wir haben hier zwar nicht reserviert, da ursprünglich am Folgetag Schlechtwetter gemeldet war und wir damit rechneten, evtl. noch am selben Tag ins Tal absteigen zu müssen. Nun schaut das Wetter aber zumindest bis am Mittag gut aus und wir beschliessen, hier zu übernachten, was kein Problem darstellt. Bis zum äusserst leckeren Abendessen geniessen wir die Sonne, die nun wieder warmen Temperaturen und die tolle Umgebung.
Die Hütte besteht aus einem einzigen Raum und ist ziemlich voll – wir bekommen ein improvisiertes Bett direkt unter dem Fenster. So wird es nicht gerade die gemütlichste und ruhigste Nacht – aber wie toll ist es doch, im Bett liegend aus dem Fenster zu schauen und nochmals auf die Gipfel zurückzublicken!
Abstieg vom Refuge de l'Aigle: Am nächsten Tag machen wir uns nach einem ausgedehnten Frühstück an den Abstieg. Einfach geht es über den Glacier du Tabuchet und anschliessend über ein Felsband auf den Nordgrat des Bec de l' Homme. Hier gibt es etwas Stau, doch wir haben ja Zeit. Über teilweise steile Schneefelder steigen wir weiter ab, was mit den vorermüdeten Beinen ohne Steigeisen doch etwas anstrengend ist. Über Geröll und Felsstufen (II) treffen wir auf einen stets breiter werdenden Pfad und gelangen schliesslich nach knapp 3 h inkl. langer Pause hinunter zum Parkplatz bei der Pont de Brebis.
Nun wartet noch eine 90-minütige Wanderung nach La Grave auf uns. Zwar hat uns ein nettes Paar in der Hütte eine Mitfahrgelegenheit versprochen, doch da wir deutlich schneller sind und der Himmel etwas düster aussieht, beschliessen wir nach einem erfrischenden Fussbad, zu Fuss zu gehen. Mit den ersten Regentropfen tauchen schliesslich die Gondeln der Téléphérique auf und wir schaffen es gerade noch trocken bis zum Auto. Nach Verspeisen einer grossen Tüte Chips mit Brathähnchengeschmack installieren wir uns auf dem Camping de la Mejie – natürlich mit super Aussicht auf die Meije! Später essen wir in der Bar Le Bois des Fées meine seit längerer Zeit besten Hamburger und stossen auf die tolle Tour an.
|