Mit Holmger 10/07/21
Der Piz Palü hat eine besondere Bedeutung für mich - schon 11 Mal habe ich ihn über verschiedene Routen bestiegen. So ist auch der Bumillerpfeiler seit Jahren eine Wunschtour von mir, welche ich aber bisher mangels passendem Wetter, Bedingungen oder Tourenpartner bisher nie verwirklichen konnte. Im Vorjahr mussten wir die Tour morgens um 6:00 beim Einstieg zum Pfeiler aufgrund eines nicht prognostizierten Gewitters abbrechen. Auch diesen Freitag hängt die Tour noch an einem dünnen Faden: wir sind beide ausgelaugt von einer anstrengenden, schlafarmen Arbeitswoche, die Bedingungen sind wegen dem Neuschnee etwas unklar, und aufgrund von massivem Stau und unzähligen Bausstellen wird es ziemlich knapp auf die letzte Bahn zur Diavolezza. Zum Glück reicht es aber doch, und wir schultern unsere schweren Säcke zu den guten Biwakplätzen bei der Fuorcla Trovat, wo wir unser Zelt aufstellen. Beim Abendessen an der warmen Sonne mitten in der fantastischen Bergwelt beginnen wir zu relaxen, und Zuversicht und Motivation steigen.
Wir kommen zu ein paar Stunden ganz passablem Schlaf, bis um 3:45 der Wecker klingelt. Vom Schlafsack aus kochen und trinken wir Kaffee und frühstücken, bevor wir uns um 4:45 auf den Weg machen. Nach dem Abstieg über die Moräne bei Punkt 3039 m seilen wir uns für den Gletscher an. Schon in Vorjahr heben wir den Zustieg trotz wenig Sicht direkt gefunden, heute bei klarem Sternenhimmel ist es noch leichter. Kurz nach halb sechs kommen wir beim Pfeilerfuss an, wo wir noch geschützt vor möglichem Eisschlag schnell etwas trinken und das zweite Eigerät hervorholen.
Am Vorabend hatte mir der von weitem sichtbare Bergschrund etwas Sorgen gemacht. Es sah so aus, als müsse man weit nach rechts ausholen, um ihn zu umgehen, was bedeutet hätte, sich deutlich länger in der Eisschlagzone aufzuhalten. Nun stellen wir aber fest, dass genau am richtigen Ort ein Schneerutsch in den Schrund gedonnert war und dabei eine Brücke gebildet hatte - wie praktisch! So können wir den Schrund direkt neben dem Pfeiler überqueren und anschliessend durch den steilen aber griffigen Firnhang zügig aufsteigen, wobei ich den Schlafmangel der vergangenen Woche doch deutlich in meinen Beinen spüre...
Wir kommen schnell zur Felsriegel - unserem vorjährigen Umkehrpunkt -wo wir auf eine Vierergruppe aus Österreich treffen, mit welcher wir anschliessend fast bis zum Gipfel gemeinsam unterwegs sein würden - nochmals vielen Dank für die nette Gesellschaft! Nach etwas Wartezeit können auch wir in die Felspassage einsteigen. Die Kletterei ist etwas unschön nass-sandig, aber dank guten Griffen und Tritten auch mit Steigeisen recht einfach (III), so dass wir simultan gehen. Nach ca. 15 m im Fels traversieren wir im Eis hinüber zum Pfeiler und steigen in dessen Nähe in gutgriffigem Firn auf. Anfänglich etwas steiler (45-50°), legt sich das Gelände bald zurück, und auf ca. 3300 ziehen wir um einen Felsausläufer herum nach links und erreichen den Firngrat.
Kurz vor 7:00 erreichen wir also das Kernstück der Tour, den oberen Felsabschnitt des Pfeilers. Hier treffen wir auf eine weitere vorausgehende Seilschaft, die sich Klettern bereit macht. Aufgrund dieses Andrangs von insgesamt 8 Bergsteigern vergeht über eine halbe Stunde, bis wir loslegen können, aber immerhin ist es warm und sonnig hier.
Die doch ordentlichen Mengen an Neuschnee sowie das daraus resultierende Schmelzwasser und Wassereis verlangsamen uns klar. Trotzdem kommen wir immer wieder in den Genuss von wirklich coolen Kletterstellen, wie etwa der plattigen, leicht abwärts führenden Traverse mit anschliessendem, für den Schwierigkeitsgrad V+ ziemlich steilen Aufschwung. Zum Glück verstecken sich hier gute Griffe in den Rissen, denn die von weitem sichtbare Schlinge weist zwar den weg, hilft aber beim Klettern nicht weiter. Neben unzähligen Schlaghaken jeglichen Alters und vielen Fixfriends und (Holz)-keilen findet man sogar 1-2 Bohrhaken. Das Material ist aber oft wild verstreut und somit nicht zwingend ein Hinweis darauf, auf der besten Route zu sein - es gibt auch zahlreiche Verhauer. Ohnehin sind fast überall mehrere Routenverläufe möglich - man folge seiner Intuition .
Die Routenwahl in der 4. Seillänge stellt uns und unseren österreichischen Mitstreiter dann vor eine grössere Herausforderung, da der normalerweise wohl einfachste Weg aufgrund des Schnees und den nassen Platten heikel wirkt. Und selbst wenn der Fels meist solide und kompakt ist, so liegen doch auch ein paar lose Brocken herum, was aufgrund des Schnees nicht so leicht erkennbar ist. Nach langem hin und her finden wir aber dann einen gangbaren Weg, und anderthalb Seillängen später erreichen wir den Grat hinter dem markanten Turm.
Es folgt die Platte mit Riss, die auf den ersten Blick gar nicht so einfach scheint, bis man die Tritte und Griffe rechts an und hinter der Kante findet. Gleich darauf gilt es, einen Felsspalt zu überwinden, was mir mit meinen kurzen Beinen nicht ganz einfach fällt. Schliesslich löse ich die Stelle, indem ich auf dem Bauch so weit hinunter und über den Spalt rutsche, bis ich mit dem Fuss die andere Felswand erreiche und mich drehen und hinüberziehen kann. Auch eine Piaztraverse mit anschliessender Rissverschneidung gehören zu den wirklich coolen Stellen hier auf dem Grat.
Nun wird das Gelände einfacher, jedoch nimmt der Schnee zu. Wir klettern trotzdem mit den Kletterschuhen weiter, denn plötzlich geht ein eisiger Wind und wir wollen uns nicht allzu lange aufhalten. Kurz vor der Eisnase habe ich so taube Finger, dass ich die Griffe kaum mehr spüre. Wie gut, gibt es am Ende des Felsgrates einen geräumigen Standplatz, wo wir uns Daunenjacken, Handschuhe und Bergschuhe überziehen. Einmal mehr bin ich dankbar, auch an Tagen mit grundsätzlich hohen Temperaturen und sonnigem Wetter warme Kleider dabeizuhaben.
Die Eisnase sieht zwar nicht besonders steil aus und das Eis scheint griffig, allerdings ist es weich und mürbe und somit schlecht mit Eisschrauben zu sichern. Da es zudem noch eiskalt ist und die Zeit schon fortgeschritten, wählen wir die am unkompliziertesten wirkende Option und umgehen die Nase, so wie es die beiden deutschen Bergsteiger vor uns getan haben (Routenverlauf wie im SAC-Führer). Dazu müssen ein paar Meter in steilem aber super griffigen und mit Schrauben gut zu sichernden Eis traversiert werden, anschliessend folgt nicht ganz triviales (aber eigentlich recht cooles) Mixedgelände, in welchem man ein paar Schlaghaken vorfindet. Weiter geht es dann in ca. 45-50° steilen Firn/Eis (insgesamt ca. 45 m). Wir sichern diese erste Länge um die Nase herum mit Standplatz und gehen anschliessend simultan im stets flacher werdenden Gelände weiter, wobei wir gelegentlich Schrauben setzen.
Nach einer kurzen Pause stapfen wir mit schon etwas schweren Beinen weiter, und saugen die eindrückliche Gletscherwelt und das Panorama in uns auf. Bald treffen wir auf die Autobahn zwischen West- und Mittelgipfel, welcher wir dankbar folgen, denn vorübergehend sind wir völlig in den Wolken. Auf dem Hauptgipfel gibt es dann eine ausgiebige Rast. Es ist schon 15:00 - aufgrund der Verhältnisse und etwas Stau waren wir deutlich länger unterwegs als angenommen. Weiter schlimm ist dies aber nicht, das Wetter ist stabil und dank unserem Zelt und genügend Essen sind wir nicht auf das Erreichen der letzten Bahn angewiesen.
Auch das Aufweichen des Schnees stellt aufgrund der gut ausgetretenen Spur kein Problem dar, selbst wenn man sich auf dem Verbindungsgrat zum Ostgipfel schon etwas konzentrieren muss - die Tiefe saugt gewaltig! Auf der Schulter nach dem Ostgipfel (3729 m) sind dann die Schwierigkeiten endgültig vorbei, wir seilen uns für den Gletscher nochmals an und folgen dankbar der gut angelegten Spur, die uns durch den zwar aktuell gut eingeschneiten aber doch spaltenreichen Gletscher führt. Der Abstieg im tiefen Nassschnee ist eher mühsam, jedoch von überschaubarere Dauer. So erreichen wir um 17:00 unserer Zelt, wo wir müde und zufrieden an der Sonne Wasser und Essen kochen und anschliessend den Abend mit dem Blick auf unsere Tour nochmals richtig geniessen.
Gipfel | Piz Palü |
Route | Bumillerpfeiler |
Ausgangspunkt | Berggasthaus Diavolezza |
Höhe | 3900 m |
Schwierigkeit | V+, je nach Literatur S+ bis SS+ (bei Umgehung des Vorbaus und aufgrund der nicht mehr sehr steilen Eisnase eher S+) |
Führer |
SAC Tourenführer Bündner Alpen 5 |
Material:
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50 m Seil, 2 Eisgeräte, 5-7 Eisschrauben, Cams 0.3-2, wenige Keile/Ballnuts, 6-8 lange Exen, Schlingen |