Mit Ralf 12/07/2019
Beim langen Zustieg zum Refuge de la Charpoua über Hunderte von Leitersprossen sitzt mir die Müdigkeit von den letzten Tagen mit der Tour auf die Aiguille d'Argentière noch etwas in den Knochen. Die Tatsache, dass für den nächsten Tag starke Winde und eher wenig Sonnenschein angesagt sind, stimmt uns ebenfalls nicht gerade zuversichtlich für unser grosses Unternehmen. Trotzdem machen wir uns vor dem Nachtessen noch auf eine kleine Rekognoszierungstour, um zumindest einen Teil des Zustieges über den zerschrundenen Glacier de la Charpoua einzusehen.
In der Nacht rüttelt der Wind an der Hütte, so bin ich überrascht, dass es windstill und sternenklar ist, als wir um 2:30 den Kopf aus der Hütte strecken. Rasch und ohne Hunger stopfen wir uns das Frühstück runter und trinken den am Vorabend auf der "Moulin Güllich" selbst gemahlenen Kaffee. Kurz nach 3:00 marschieren wir los; zuerst auf Wegspuren, dann mit Steigeisen auf dem steilen Gletscher, wobei wir wegen den zahlreichen und zum Teil ziemlich tiefen Spalten zuerst auf- und dann wieder absteigen müssen. Die Traverse zum Einstieg zu den Drus ist dann doch nicht so leicht zu finden wie gedacht, nach kurzem hin- und her gelangen wir dann aber recht direkt zum sehr steilen Firnausläufer, der auf die Felsrampe führt.
Von hier bis in den Sattel ist die Wegfindung relativ einfach. Mit Spürsinn für den leichtesten Weg kommt man weit - zahlreiche Steinmännchen und neuere sowie ziemlich alte Schlingenstandplätze bestätigen, dass wir richtig (oder zumindest nicht ganz verkehrt) sind. Gehgelände wechselt sich ab mit Kletterstellen im 2. und 3. Grad, somit bleiben die Seile noch auf den Rucksäcken. Sichern wäre hier - wenn überhaupt möglich - sehr zeitaufwändig. Vorübergehend müssen wir nochmals Steigeisen montieren um über ein kurzes, steiles Firnfeld aufzusteigen, dann geht es wieder ohne weiter.
Auf dem Grat angekommen umgehen wir den markanten Turm auf seiner Nordwestseite. Anschliessend leiten uns altes Schlingenmaterial und verschiedenste Fixseile etwas in die Irre, aber schliesslich erreichen wir das dreieckige Schneefeld, wo gemäss Topo die eigentliche Route beginnt.
Da Ralf deutlich besser und schneller klettert als ich, steigt er vor, ich trage dafür das zweite 60m Halbseil, das wir später zum Abseilen brauchen, während wir das andere doppelt nehmen um uns anzuseilen. Etwa um 5:30 klettern wir - vorerst noch in Bergschuhen - los. Die Routenfindung fällt uns schwer, die Kletterstellen dünken uns selbst mit Mont-Blanc-Massstab gemessen deutlich schwerer als III. Einmal seilen wir uns sogar wieder ab, nur um zu merken, dass wir doch richtig gewesen wären. Ui - wenn das so weitergeht, wird das eine unglaublich lange Tour... Da wir wegen dem starken Wind zudem eiskalte Finger und Füsse haben, denken wir sogar über einen Rückzug nach, was aber von hier auch ein ziemliches Unterfangen gewesen wäre. Also beschliessen wir, auf die Zähne zu beissen und zu hoffen, dass die Stelle vor uns nun die erste schwere Seillänge sei. Der Einstiegsriss kann mithilfe eines Fixseiles erleichtert werden - wer glaubt, es sei geschafft, täuscht sich allerdings gewaltig, denn die eigentliche Schlüsselstelle kommt erst danach. Es muss nun nämlich ein etwa 20 m langer, knapp körperbreiter Kamin mit Ganzkörpereinsatz Zentimeter für Zentimeter hochgeschrubbt werden - und das mit sehr spärlichen Möglichkeiten, Sicherungen zu legen. Das Hauptproblem ist, dass man - mal im Kamin drin, einfach festklemmt. So kann man zwar nicht herauszufallen, sich allerdings auch nicht vorwärts bewegen ... Ralf flucht und jammert zu Recht - ich beneide ihn keineswegs um den Vorstieg und ich bin auch im Nachstieg ziemlich fertig, als ich endlich irgendwie oben ankomme. Vielleicht wäre uns die Stelle mit Kletterfinken etwas leichter gefallen - viel hätte es wohl aber nicht ausgemacht, und die dadurch grösseren Rucksäcke wären dem Kaminschrubben sicher auch nicht förderlich gewesen...
Oben dann die Erleichterung: Das Gelände lehnt sich zurück und wir merken, wir sind auf der Route! Auch die Kletterei wird etwas einfacher, bleibt allerdings sehr physisch. Mit Sportklettern im Kalk wie ich das kenne hat das nicht viel zu tun. Zudem setzt uns die Kälte zu. Vor der mit 5c gradierten nominellen Schlüssellänge wechseln wir dann auf Kletterfinken. Die Länge ist schön und die Schwierigkeiten sind technischer/plattiger Natur, was uns entgegenkommt, so bereitet uns die Stelle keine Mühe. Auch den darauf folgenden 5b/5c Seillängen ist glücklicherweise leichter beizukommen als der ersten happigen Kaminlänge. Nach 16 "Seillängen" (einige davon sind 100 m lang) erreichen wir durchfroren aber zufrieden mit unserem Klettertempo den Gipfel der Petit Dru (3733 m).
Von hier traversieren wir in gemischtem Gelände und Abwärtskletterei im 3. Grad hinüber zum Einstieg in die abschliessenden 3 Seillängen, die uns auf die Grand Drus hinaufführen sollen. Ganz schön luftig und steil sieht das aus!!
Die erste mit 5a gradierte Seillänge fühlt sich leicht an - zum Glück, denn der kalte Wind bläst wieder unerbittlich... Bei der nächsten muss dann schön etwas mehr zugepackt werden.
Die allerletzte Seillänge beginnt mit einer fotogenen Traverse und endet - wie könnte es anders sein - mit einem Schrubbkamin... Glücklicherweise hängt hier ein Fixseil, welches zwar beim Klettern nicht viel hilft, es aber erlaubt, Zwischensicherungen zu legen. So kommen wir kurz vor 15:00 auf den Gipfel. Schnell etwas essen und (Cola) trinken, dann geht es weiter - das Wetter lädt wirklich nicht zum Verweilen ein... Über etwas Firn und "leichte" Kletterei sowie Gehgelände finden wir rasch zur ersten Abseilstelle. Unterwegs dorthin kommen wir an einem Quarzband vorbei. Unglaublich, wie viele grosse, klare, sechseckige Kristalle hier zu finden sind! Einige stecken wir ein - schliesslich gehts es von nun an ja nur noch bergab ;-)
Das Abseilen ist dann wegen dem flachen, gerölligen Gelände äusserst mühsam - vielen dank Ralf für das unermütliche Entwirren und Aufnehmen der Seile!! Dank ausgezeich-netem Topo (Mont-Blanc GRANITE" Band 3) sind die Abseilstellen aber trotz teils stockdicken Wolken gut zu finden und wir kommen tatsächlich ohne Seilverklemmer durch. So stehen wir nach zehnmaligem Abseilen erleichtert auf dem Gletscher. Im Gegensatz zum Zustieg seilen wir uns jetzt an um diesen zu queren, da der Schnee doch recht weich geworden ist. Kurz nach halb 7 kommen wir zur Hütte, wo wir uns endlich aufwärmen können. Leider müssen wir uns fürs Nachtessen noch etwas gedulden, aber als draussen der Hagel runter donnert überwiegt klar die Zufriedenheit über die bei garstigen Bedingungen zügig geschaffte Tour! Und ein paar schöne Bilder sind auch in der Box ;-).
Gipfel: | Aiguille des Drus |
Route: | Überschreitung |
Ausgangspunkt: | Refuge de la Charpoua |
Höhe: | 3733 m (Petit Dru), 3754 m (Grand Dru) |
Schwierigkeit: | S, 5c |
Führer:
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Sehr gutes Topo in "Mont-Blanc GRANITE" Band 3; Damilano, Désécures, Laurent; JMEditions |
Material:
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Etwa 5 Cams 0.3-3, Keile, Schlingen; zum Abseilen werden 50 m oder 60 m Halbseile bzw. ein Halbseil und eine Rapline benötigt; Gletscherausrüstung |