Mit Philipp 15/09/2019
Nach einer Kaltfront, die in der Nordschweiz einiges an Neuschnee gebracht hat, zeichnet sich für das kommende Wochenende ein stabiles Hoch ab. Da wir nicht die einzigen sind, die nochmals in die Berge wollen, bevor die Saison ein Ende nimmt, müssen wir von unserem ursprünglichen Plan, dem Weisshorn Nordgrat abweichen und peilen stattdessen das Trientgebiet an. Auch im Zug ins Wallis sind wir nicht die einzigen... Es kommt zu Verspätungen und der Anschlusszug in Martigny kann nicht abwarten. Weil der Bus nach Champex nur alle 2 h fährt und unser Autostoppversuch kläglich scheitert, müssen wir die Zeit auf Bahnhöfen totschlagen, statt sie bei Bier und Aussicht auf der Hütte zu geniessen...
Irgendwann aber kommen wir auch in Champex an, legen die ersten Höhenmeter mit dem Sessellift zurück und wandern dann von la Breya in 3 h zur Cabane du Trient hinauf. Die schöne Landschaft leuchtet im Herbstlicht und lässt uns die Rücksäcke, die mit viel Ausrüstung für verschiedene Tourenoptionen schwer bepackt sind, etwas vergessen. Da das Nachtessen erst nach 19 Uhr serviert wird, bleibt trotzdem noch Zeit für Bier und Sonne auf der Terrasse - die Aussicht hier ist ja auch fast unschlagbar.
Beim Gespräch mit dem Hüttenwart wird schnell klar, dass sich eine Besteigung der Aiguille du Chardonnet insbesondere wegen dem Abstieg über den Normalweg eher für den Frühling anbietet; und für die Überschreitung der Aiguilles Dorées fehlt uns etwas der Biss und die Zeit am Folgetag. So entscheiden wir uns für die eher kurze und entspannte Tour über die Arête de la Table auf die Aiguilles du Tour. Die Hütte ist zwar fast voll, aber ein Grossteil der Gäste hat am nächsten Tag keine Hochtour geplant, darum ist die Stimmung beim feinen Nachtessen recht entspannt (auch wenn eine Seilschaft tatsächlich in der vollen Hütte am Tisch Spaltenrettung übt - mit Pickel und Eisschrauben auf dem Tisch...).
Frühstück gibt es erst um 5:30 - das reicht auch für unsere Tour. Wir sind überrascht, wieviele Leute auch schon jetzt aufstehen, doch als eingespieltes Zweierteam sind wir fast als erste raus aus der Hütte und stehen wenig später auf dem Plateau du Trient, wo wir uns für den Gletscher ausrüsten und in Richtung Col Superieur du Tour stapfen. Der Firn trägt gut und die nicht besonders tiefen Spalten sind einfach zu umgehen. Unterdessen bricht der Tag an und die Silhouetten unzähliger Gipfel nah und fern zeichnen sich vor dem blau-violett-gelben Himmel ab. Dies ist bei den allermeisten Touren der Moment, wo ich einfach nur glücklich bin, hier unterwegs sein zu können!
Um 7:00 Uhr erreichen wir das Col Superieur du Tour. Der Abstieg durch das Couloir hinunter auf den Glacier du Tour ist leider zu dieser Jahreszeit recht unangenehm. Nach kurzem Abklettern über staubige Felsen folgt ein heimtückisches, mit Kies übersätes Blankeiscouloir und anschliessend ein Geröllhang. Früher im Jahr liegt hier angenehmer Firn, und wie wir später erfahren wäre jetzt im Spätsommer/Herbst Jahreszeit der Übergang über das Col du Tour die einfachere und somit trotz grössere Distanz wohl schnellere Option. Naja, so schlimm ist es dann auch nicht und nach einem kurzen Umweg zu einem Bergsteiger, der seine Hand unter einem Stein eingeklemmt hat (zum Glück ist nichts Schlimmes passiert) stehen wir auf dem Glacier du Tour.
Den südwestlichen Felsausläufer der Aiguilles du Tour umgehend steigen wir über den Gletscher wieder hoch, welcher hier sehr grosse Spalten aufweist. Weiter geht es dann über Geröll und anschliessend das Firncouloir hinauf zum Einstieg in die Arête de la Table. Dieses Couloir hatte uns im Vorfeld etwas Sorgen gemacht, da es laut Berichten bei Ausaperung sehr steinschlägig sein soll. Wir können aber an seinem linken Rand keinen einzigen Stein im Schnee entdecken, und dank perfektem Trittfirn ist der Anstieg trotz der Steilheit problemlos.
Nun tauschen wir Gletscherausrüstung gegen Felsausrüstung und klettern um 8:30 los zum Grat hinauf. Die ersten Meter sind hier wegen dem in dieser Jahreszeit fehlenden Schnee/Eis recht brüchig, sandig und anspruchsvoll - danach folgt aber angenehmes Gehglände oder leichte Kraxelei bis hinauf zur Gratscheide.
Diesem folgen wir nun in schönstem, stabilen Chamonixgranit! Die Kletterei ist meist einfach - oft Zweiergelände gespickt mit ein paar Stellen im dritten Grad, so gehen wir simultan bis wir kein Sicherungsmaterial mehr haben und tauschen dann den "Vorstieg". Die Wegfindung ist recht intuitiv und man sieht dem Fels auch an, dass hier ab und zu drübergeklettert wird. Schön finde ich, dass wir (ausser in der Schlüsselstelle) kein fixes Material entdecken, es lässt sich ja auch alles sehr gut mit Cams und vor allem Zackenschlingen absichern.
So kommen wir bald zur Schlüsselstelle - dem namensgebenden Felstisch. Hier hängt eine Schlinge, mit der man laut Topo die 4c-Stelle 4a/A0 lösen könnte. Wie genau das gehen soll ist uns aber schleierhaft, denn die Schlinge hängt unter dem Felstisch, man muss aber um diesen herumklettern, um hinauf zu kommen. Wie auch immer - wir können die Stelle auch so problemlos klettern: unter dem Tisch nach rechts queren, dann - noch gut stehend - die kommenden (grossen) Griffe sortieren, schliesslich einmal kräftig ziehen und oben steht man. Die 4c Bewertung entspricht denn auch eher einer Deutschschweiz-Skala als einer typischen Chamonix-Skala wie etwa an der benachbarten Aiguille Purtscheller.
Nach dem Tisch folgt nochmals eine äusserst genussreiche Kletterstelle im 3. Grad, dann geht es an fragil aussehenden Schuppen auf einem sehr exponierten, horizontalen Grat weiter bis zu einer kurzen (und etwas mühsamen) Abseilstelle. Wie schon den ganzen Tag ist es sonnig, windstill und warm - ja schon fast heiss. Ein richtiger Traumtag in einer atemberaubenden Gegend mit Blick auf Aiguille du Chardonnet, Aiguille Verte, Les Drus und Mont Blanc. Und dazu sind wir hier an einem Sonntag ganz alleine unterwegs. Was für ein Luxus!!
Die verbleibenden Meter zum Gipfel sind einfach, und wir fliegen nahezu hinauf vor Genuss. Kurz vor 11:00 sind wir oben. Wir machen ausgiebig Gipfelrast, geniessen die Aussicht und beobachten andere Tourengänger, die über den Normalweg gekommen sind, beim Abstieg. Eine grosse Gruppe sitzt doch tatsächlich sehr lange beim Picknick auf dem Gletscher - direkt unter der doch recht steinschlägigen Felsflanke...
Wir steigen seilfrei in ca. 15 Minuten über Felsstufen und auf Wegspuren auf dem Normalweg ab und seilen uns dann wieder für den Gletscher an. Da die grosse und eher ungeübte Gruppe natürlich ausgerechnet gleichzeitig mit uns losgehen und die Spalte überqueren will, müssen wir etwas warten. Anschliessend geht es aber zügig über den Gletscher zur Trienthütte zurück, wobei wir ordentlich schwitzen.
Um 13:00 Uhr bei der Hütte angekommen packen wir das hier deponierte Material zusammen und steigen zur Ornyhütte ab, wo wir uns eine lange Pause gönnen und in der Sonne auf die lässige Tour anstossen. Schliesslich geht es dann weiter zur Sesselbahn und mit dieser hinunter nach Champex. Mit einem kleinen Sprint erwischen wir gerade noch den Bus und reisen zufrieden und diesmal ohne Verspätungen wieder ins Flachland zurück.
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Gipfel: | Aiguilles du Tour |
Route: | Arête de la Table |
Ausgangspunkt: | Cabane du Trient |
Höhe: | 3540 (Südgipfel) |
Schwierigkeit: | ZS-, 4c |
Führer: |
Hochtouren Topoführer Walliser Alpen Silbernagel/Wullschleger) |
Material: |
Zackenschlingen, 2-3 mittlere Cams, 30 m Seil, Gletscherausrüstung |